Jahr für Jahr berührt uns ein beinahe archaisch wirkendes Ritual, der Aschenritus. Irgendwie unheimlich, zugleich aufregend wie schockierend, denken sich nicht nur kleinere Kinder, die sich in die Warteschlange einreihen. Was mag in ihnen vorgehen, wenn sich der Priester oder ein/e Aschenausspender/in herabbeugt und ihnen Asche verabreicht? Diese Handlung ist erklärungsbedürftig. Da wird in der Berührung durch den Finger eines anderen Sterblichen und in der Konfrontation mit einem mir auf den Kopf zugesagten Gotteswort spürbar, wer ich bin und was auf mich zukommt. Jahr für Jahr stehen wir in der Warteschlange, ob wir nun Narren waren oder eher karnevalsabstinent. In dieser Schlange macht sich jeder Christenmensch seine Gedanken. Wie oft habe ich dieses Zeichen bereits empfangen? Und wie oft noch? Wozu verhilft es mir? Alle Jahre wieder merken wir: Die Zeit vergeht – und wir mit ihr. Die Zeit rieselt wie Sand und Asche durch unsere Körperexistenz. Mit einem - allerdings wieder leicht abwaschbaren – ‚Tattoo‘ werden wir am Portal in den vierzigtägigen Zeit-Raum der Umkehr hineingelassen. Eigentlich ist der Gottesdienst der Ort, wo wir den Schmutz des Alltags „auf den Acker des liebreichen Willens Gottes“ tragen, wie es im Mittelalter Johannes Tauler empfahl. Denn wir wollen unseren inneren Schmutz zurücklassen, damit Gott ihn wegwäscht. Doch in der Aschen-Liturgie lasse ich mich beschmutzen, aufschrecken und unsanft wecken. Soll meine Endlichkeit so plakativ werden wie ein Altersfleck? Soll diese Wunde meiner Existenz eigens aufgerissen werden? Bin ich denn ein Nichts, nur ein Häuflein ‚Dreck‘, das im Winde verweht? Ist ‚Erde‘ der Name des Menschen, Erdling, Adam? Ja, wir müssen heute da durch! Das tun wir nicht trübsinnig und voller Weltschmerz, sondern in guter österlicher Hoffnung. Ich will mutig sein. Manche nehmen den Schritt mit ‚Humor‘. Dieses Ritual gehört irgendwie zum Abschluss der humorigen närrischen Tage dazu. Ohne diesen seltsamen Schlusspunkt bliebe der Karneval ziellos, unernst. In anderen regt sich Widerwillen, ein mulmiges Gefühl. Irritiert stehen wir da, unübersehbar gezeichnet auf unserer Denkerstirn, markiert mit einem Aschenfleck, einem Kainsmal. Ob wir es wollen oder nicht – wir bekommen es zu hören und sollen uns mit der Realität vertraut machen.: Unser Ursprung ist Staub und Asche, also gestaltlose Materie. Ich bin auch nur ein Mensch. „Gedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst“ (Gen 3,19). Fremdartige Worte des Uranfangs werden laut. Ein seltsames Kompliment, diese harte, staubtrockene Wahrheit: Mir geht es wie dem Palmzweig von gestern. Ich bin zerbrechlich, endlich, nur ein vorübergehender Gast auf dem Erdboden. Ich bin nicht Gott oder Engel oder Superman; ich werde geerdet und will demütig auf dem Boden (Humus) bleiben. Ich bin angewiesen auf den, der uns aus dem Material Staub und Asche zu einem unverwechselbaren und einmaligen Geschöpf formte. Zuweilen bin ich einer, der verbrannte Erde hinterlässt. Ich will unter diesem markanten Aschezeichen lernen, meine Tage zu zählen, um ein weises Herz zu gewinnen (vgl. Ps 90, 12). Ich will nicht abheben und übermütig werden. Gerade weil ich Staub und Asche bin, bin ich unentrinnbar auf meinen Gott verwiesen. Wer so etwas kann – aus gestaltlosem Ascheschmutz dich und mich zu formen – dem trauen wir alles, dem trauen wir Ostern zu! Der Schöpfer nimmt mein Leben als Material für die Ewigkeit. Wir werden nicht durch seine Hände rinnen wie Asche, sondern aufgefangen werden. Was werden wir sein? „Der Erde vermählt und Gott anvertraut, / zwei Hände voll zärtlichem Staub“ (Christina Busta). Am Aschermittwoch fängt alles erst an!
Einen guten vorösterlichen Weg wünscht
Pfarrer Kurt Josef Wecker