Erinnerung an das franziskanische Jubiläum von Kurt Josef Wecker
Viele kennen es aus eigenem Erleben: Den Kinder-Krippenspielen oder den „Sprechmotetten“ am Heiligen Abend gelingt das, was vielen Predigten nicht gelingt: der Funke springt über, das abstrakte Wort „Menschwerdung“, „Inkarnation“ wird greifbar und anschaulich im Spiel der Kinder.
So gerne möchten wir einander Weihnachten nahe bringen. Wird uns Predigern die Aktualisierung, der Brückenschlag gelingen? Und werden wir Jesus im Gedächtnis behalten und nicht wieder vergessen? Es wäre mein Wunsch, dass wir einander dazu bewegen, Christus in die Arme zu nehmen, ihn zu umarmen, mich in Ihn und „in seine Lieb‘“ zu versenken, wie die Mystiker und Lieder (GL 239,2) sagen. Dieses Weihnachtsgeschenk wünschen wir uns: dass das Fest uns ergreift und wir das Geheimnis von Weihnachten ‚erleben‘ mit allen Sinnen, damit uns der Menschgewordene buchstäblich auf den Leib rückt. Es wäre wahrhaft Weihnachten, wenn wir in unseren Gottesdiensten und Begegnungen die Jesusbegegnung anbahnen und das Geheimnis verlebendigen. Hoffentlich wird in unseren Weihnachtsmessen oder in persönlichen stillen Stunden vor der Krippe das Gespür dafür geweckt: Ich bin gemeint! Wir alle werden buchstäblich hineingewickelt in das ganz und gar nicht goldene, sondern erdfarben glänzende Geschenkpapier des Weihnachtsevangelium - wie in die Windeln Jesu, die im Sommer in Aachen bei der Heiligtumsfahrt verehrt wurden. Alle dürfen Mitspieler sein bei diesem Heiligen Spiel der Weihnacht; denn allen wird Er geboren. Dann passiert es: Das Licht der Weihnachten springt über und wird als Restlicht das ganze übrige Jahr erhellen. Wir wollen seine Krippe zum Anfassen haben. Das Wunder göttlicher Selbstherablassung soll uns ergreifen, nicht nur vorübergehend für einige rührselige Stunden. Wir meinen, Krippen und Krippenspiele – das ist doch selbstverständlich. Die gab’s doch schon immer … Nein, 1200 Jahre lang war der Kirche diese Weihnachtsfrömmigkeit fremd und unbekannt. Einer musste sie ‚erfinden‘ und damit eine beinahe vergessene Wahrheit des Glaubens neu in Erinnerung bringen. Einer half uns, mit allen Sinnen zu begreifen, das Er wahrhaft Fleisch und Blut angenommen hat, in einer kalten Nacht, armselig, fremd, draußen vor der Tür. Dieser eine war ein Bettelmönch, ein Liebhaber der Randexistenzen und des armen, verletzlichen Jesus: Franziskus von Assisi. 3 Jahre vor seinem Tod schuf dieser kreative ‚Spielmann‘ vor Gott das Spiel der Geburt Jesu.
Greccio war der Ort, an dem Weihnachten neu entdeckt wurde; die Einsiedelei der Minderbrüder ist ein herrliches Wanderziel in Mittelitalien; Greccio war eine der Lieblingsorte des heiligen Franziskus; vielleicht bereits 1209, sicher aber 1217 war er zum ersten Mal in Greccio; auf allen Seiten von Bäumen umgeben, schmiegt sich die Pilgerstätte an die Felsen. Im Komplex der um 1228 entstandenen Einsiedelei von Greccio im „heiligen Tal von Rieti“ - im Herzen Italiens 90 km nördlich vom Rom - befindet sich das Felskloster, darin die Franziskuszelle und die anderen Zellen aus der Zeit des hl. Bonaventura (1221-1274), des langjährigen Generalministers des Ordens, das winzige Refektorium, die kleine Essküche, der Schlafsaal, die alte vom hl. Bernhardin und den Observanten errichtete Kirche und die neue Kirche (1959). Dort ist die Lukaskapelle von 1228, genau an/über der Stelle, an der vor 800 Jahren etwas Innovatives geschah, in der Mariengrotte. Darin aufbewahrt ist die ‚Höhle der Weihnachtsfeier‘ (Cappella / Grotta del Presepe). In der Altarapsis findet sich das Fresco (des Meisters von Narni?) aus dem 14. Jahrhundert. Maria hält Jesus ihre Brust hin: Maria, die stillende Madonna, ‚Maria lactans‘. „Gott hat an der Brust einer Frau gehangen“, sagte Franziskus. Ein Riss geht durch das beschädigte Fresko. Wir sehen den alten Josef und – untypisch für ein Weihnachtsbild – die Büßerin Maria von Magdala. Das Fresko habt die Weihnacht von Bethlehem und die von Greccio nebeneinander abgebildet. Auf dem Fresko zu sehen ist auch der knieende, das streng bandagierte Kind anbetende Franziskus und das staunende Volk im Hintergrund. Ein Priester feiert die Weihnachtsmesse, denn die Eucharistie ist die Vergegenwärtigung des Menschgewordenen: Jesus, der im Krippenheu im Erdtrog lag, kniet sich in die Hostienscheibe hinab. Hier in Greccio, zu Ehren des Franziskus und des denkwürdigen Geschehens vor 800 Jahren, unterschrieb der Papst am 1. Dezember 2019 seine schöne Krippenmeditation, das Apostolische Schreiben (Motu proprio) „Admirabile signum“.
Was geschah dort in der heutigen Region Lazio im Jahre 1223? Einer musste den Anfang machen, zum Entdecker werden und das Christkind gewissermaßen zum Leben erwecken. Einer musste das Evangelium wortwörtlich übersetzen und Erfinder einer Weihnachtsfrömmigkeit werden, die aus unseren Kinderkrippenfeiern nicht mehr wegzudenken ist. Das konnte nur der Heilige inszenieren, der wie kaum ein anderer von Christus ergriffen, durchglüht und neu gestaltet worden ist. Er war es, der ein Leben lang Christus umarmt und ihn quasi zum Leben erweckt hat. Was für eine Innovation, das Christentum wieder als die große Neuigkeit, als Religion der Zärtlichkeit Gottes und der Menschwerdung zu entdecken! Was für eine Provokation! Vor genau 800 Jahren wird das Geheimnis von Bethlehem quasi versetzt in das Bergdorf Greccio, auf den Monte Lacerone, in die von Wölfen durchstreiften Wälder des Apennin. 90 Kilometer südlich von Assisi liegt das Bergstädtchen in der „valle Sacra“, dem „heiligen Tal von Rieti“, dort, wohin sich Franziskus gerne in die Grotten und Erdspalten der Umgebung, in die ‚loci‘ und Einsiedeleien zurückzog, buchstäblich verkroch. Dieser Minderbruder war damals schon von Krankheiten, einem schweren Augenleiden und einer tiefen Enttäuschung über manche Entwicklungen in seiner Bewegung gezeichnet, wurde in Beschlag genommen von der Erarbeitung der Ordensregel. Was in Greccio geschah, lag in der letzten Lebensphase des ca. 40-jährigen Heiligen. Wenige Monate später empfing er in einer ähnlichen Landschaft (in La Verna in der Toskana) die Wundmale Jesu. Am 3. Oktober 1226 starb er in Assisi. Uns wird das Wunder der Weihnacht vorgespielt. Franziskus kam damals wohl zu Fuß aus Rom ins Rietital. Dort nahm er im Lateran bei Honorius III. die päpstliche Betätigung der Ordensregel (die „bullierte Regel“) entgegen. Auch dieses Ereignis vom 29. November 1223 ist ein franziskanisches Jubiläum und ein Wendepunkt dieser Bewegung! In der Naturkulisse von Greccio und nicht in einem Sakralraum geschah das Wunder der Verlebendigung des Christusgeheimnisses. Das war kein pompöses geistliches Spiel, keine feierliche Zeremonie für privilegierte Zuschauer, sondern eine sehr einfache Inszenierung mit schlichten Gesten vor dem mitfeiernden und mit Fackeln die Szenerie beleuchtenden Volk. Alle, die das Geschehen der Heiligen Nacht 1223 dort erlebten, wurden mit Bethlehem ‚gleichzeitig‘. Franziskus von Assisi war der große ‚Spielmann Gottes‘, ein Mensch voller Gesten, theatralisch begabt. Heute würde man sagen: Franziskus gelang eine meisterliche Performance, er inszenierte vor und mit einfachen Leuten ein denkwürdiges Ereignis mit Eventcharakter. Das war keine Spielerei. Dem ‚Poverello‘ war es ernst dabei. Der Sehnsucht nach dem armen schutzlosen Jesus gab er eine Szene, die sich tief einprägte in das abendländische Gedächtnis. Überspitzt könnte man sagen: Franziskus rettete den armen Jesus vor dem Vergessen. Vielleicht gelangte Franz bei seiner Orientreise (1219), die ihn mitten im 5. Kreuzzug auch zum Sultan Muhammad -al Kamil führte, nach Bethlehem; wahrscheinlich ist dies nicht. Der Heilige musste auch wegen seines Augenleidens und der Konflikte in seiner Bewegung alsbald zurückkehren nach Italien. Franziskus, dieser kreative ‚Spieler‘ vor dem Herrn, war also nie im historischen Bethlehem, doch er hat sich Bethlehem imaginiert. Er entschloss sich, die Geburtsnacht des in Bethlehem ‚heruntergekommenen‘ Gottes, die Abwärtsbewegung und Selbstverkleinerung Gottes hier im Grenzgebiet zwischen Umbrien und Latium in Szene zu setzen. Weihnachten war wohl sein Lieblingsfest, an dem er sich quasi in seinen Betrachtungen berauschte: „Wenn der Herr auch in seinen anderen Festen unser Heil erwirkt hat, sind wir dennoch gerettet, weil Er uns geboren ist.“ (Franziskus, zitiert in der Legenda Perusina 14)
In der eher milden Weihnacht zum 25. Dezember 1223 war einiges los in Greccio. Leute mit Lichterketten, Fackeln und Lampen zogen durch den Eichenwald, der erfüllt war von Gesängen, Trommeln und Trompeten; die Dorfbewohner zogen zu einem Felsvorsprung, einer Höhle. Sie zogen an den ‚Rand‘ zu dem, der als Randexistenz ausgesetzt und schutzlos zur Welt kam. Dort nahe der Einsiedelei hatten die Brüder des Franziskus und Dorfbewohner Tage vorher bereits etwas vorbereitet. Die Nacht von Greccio war nicht völlig spontan. Auch Jesus ließ sich von den Jüngern den Abendmahlssaal vorbereiten (vgl. Mk 14,12-16 par). Franziskus hatte sich die Erlaubnis und Unterstützung geholt von Giovanni da Velta, dem Grundherrn dieses Dorfes, einem Freund und Gönner des Franziskus, der ihm den bewaldeten Berg mit dem Felsvorsprung geschenkt hat (I Cel 84-87). „Wenn du möchtest, dass wir in diesem Jahr in Greccio Weihnachten feiern, dann geh schnell an die Vorbereitungen und tue genau das, worum ich dich bitte. Ich möchte die Erinnerungen an das Kind wachrufen, das in Bethlehem geboren wurde, und so greifbar wie möglich mit eigenen Augen die schmerzlichen und ärmlichen Umstände sehen, worunter er zu leiden hatte. Ich möchte sehen, wie es in der Krippe auf Stroh zwischen Ochs und Esel lag“. Die sterblichen Überreste dieses Johannes Velitas di Greccio sind in einer Metallurne in der Grotte der Krippe aufbewahrt; ihm kam das Verdienst zu, die entscheidenden Vorbereitungen für die Krippenfeier geleistet zu haben. In die einsame Bergwelt zog sich der „Poverello“ gerne zurück; er kroch in die Naturgrotten – zusammengekauert: er ganz allein vor dem verborgenen Gott. Weihnachten 1223 aber war es mit der Stille vorbei; vor 800 Jahren wurden Ochs und Esel, Schafe und Lämmer - diese „vernunftlosen Geschöpfe“ mit dem Sensus für das Heilige – und genügend Heu und Stroh zu einer Felsenhöhle gebracht; die Landbevölkerung spielte zusammen mit den Begleitern des Franziskus, den Minderbrüdern, dieses ‚religiöse Schauspiel‘ (André Vauchez) der Heiligen Nacht mit. In Italien nennt man diese Art, Weihnachten in Szene zu setzen, bis heute „Presepe vivente“, eine Inszenierung, ein ‚Krippenspiel‘ mit lebenden Personen und Tieren. Diese Greccio-Weihnacht 1223 war wohl liturgisch eine Vigilfeier, verbunden mit einer außerhalb eines Sakralraums zelebrierten Eucharistiefeier. So wie Jesus im Heu, in der Futterkrippe lag, wird uns in der Messfeier das unscheinbare Lebensbrot und darin das Wunder der Nähe Christi gereicht, und wir schmecken die ‚Selbstverkleinerung‘ und demütige Herablassung Gottes. Man muss sich diese Liturgie recht frei und gar nicht zeremoniell streng vorstellen; lebensnah und spontan und ‚im Freien‘ wurde die Gottgeburt gefeiert. Der Sakralraum über der Felsenhöhle und die Eremitage entstanden erst 1228, fünf Jahre später. Seltsam: Eigene ‚Rollen‘ für Maria und Josef, die Hirten und die Engel gab es nicht. Einige Traditionen erzählen, Franziskus habe eine Stoffpuppe für Jesus eingesetzt; nach anderen Traditionen fehlte das Jesuskind wohl. Jesu Präsenz wird durch die Predigt des Franziskus quasi ‚hervorgerufen‘ und imaginiert. Die Symbolfiguren Ochs und Esel hingegen waren Franziskus (im geistlichen Verstehen von Jes 3,1, Habakuk 3,2 LXX und dem apokryphen Pseudo-Mt-Evangelium) wichtig - wie bereits vor Franziskus den Malern und Reliefkünstlern der Weihnacht. Ochs und Esel stehen für Juden und Heiden, die sich friedlich an der Krippe versammeln. Alle Welt, auch die nicht vernunftbegabte Kreatur, finden in Frieden an der Krippe zusammen. Es mag auch vor Franziskus geistliche Spiele gegeben haben, doch dieses ‚Event‘ ist Erstaufführung! Eine lebendige Krippe mit lebenden Krippenfiguren! Teilnehmer waren die Menschen aus der Umgebung, die unmittelbar in das Geschehen einbezogen wurden und Bethlehem in Greccio ‚verheutigten‘. Verleiblichung des Weihnachtswunders! Dabei sind Menschen, die nicht unbeteiligte Zuschauer bleiben, sondern eins werden mit den Figuren der Christnacht. Der Anblick dieser ‚Krippe‘ steckte wie eine heilsame ‚Grippe‘ an; unbeschreibliche Weihnachtsfreude kam auf. Ochs und Esel sollen laut mitgebrüllt haben. Die Naturbühne für das heilige Schauspiel ist – wie wohl auch in der Urweihnacht von Bethlehem - eine Höhle/Grotte, kein Stall, keine Ruine. Giotto und seine Malerschule werden in dem berühmten Freskenzyklus (um 1290) in der Oberkirche der Grabeskirche des Franziskus in Assisi diese einzigartige Weihnachtsfeier in einen geschlossenen Kirchenraum, in einen Altarraum, verlegen, inmitten einer vornehm-starren Liturgie, während der die Menschen wohlgeordnet das Gloria singen. Doch Greccio geschah draußen, improvisiert, unter dem funkelnden Sternenhimmel! Franziskus kam ganz ohne die Klischeefigur eines hartherzigen Herbergswirt aus, eine Rolle, die in unseren modernen Krippenspielen oft wie ein moralischer Zeigefinger auftaucht und von keinem Laiendarsteller gerne übernommen wird. Franziskus war womöglich Diakon; ein anwesender Priester feierte in Greccio die heilige Messe. Ein mit viel Stroh gefüllter Futtertrog wird zur Krippe. Manche Quellen sagen, eine Puppe aus Wachs sei auf das Stroh gelegt worden. Daneben wurde der Tragaltar für das Messopfer errichtet. Und so kam der für Franziskus so wichtige Dreiklang zusammen: Krippe-Kreuz-Eucharistie – und darin die Liebe des Bettelmönchs zum winzigen Jesus, der ‚draußen‘ geboren wurde und improvisiert im Futtertrog den „letzten Platz“ einnimmt. Wir wissen nicht genau, ob Franziskus schon Diakon oder noch Laie war. Die Quellen erzählen: Diakon Franziskus trug - als “levita“ - die Dalmatik und sang das Weihnachtsevangelium von der „Demut der Menschwerdung“, des „heruntergekommenen Gottes“. Er wird die Frohbotschaft von der „Geburt des armen Königs“ so ergriffen vorgetragen haben, dass der Funke dieser Gottesleidenschaft auf die Mitfeiernden übersprang; alle unter dem freien Himmel hatten Anteil an diesem Wunder. Manche meinten, dass dem Franziskus im Vortrag der heiligen Worte das Christuskind erschienen sei. Ein frommer Mann hatte eine Vision: Ihm schien es, dass Franziskus, der Christusähnliche (neun Monate später, am Michaelstag im September 1224, wird er auf La Verna mit den Wundmalen Jesu gezeichnet), das schlafende Kind aus der Krippe genommen und es erweckt habe. „Ein tugendhafter Mann hatte eine Vision. In der Krippe sah er ein lebloses Kind liegen. Franziskus trat zu dem Kind, und er sah, wie das Kind aus einem tiefen Schlaf erwachte. Es war eine zutreffende Vision. In den Herzen vieler Menschen war das Kind Jesus ja zu einem Unbekannten geworden, aber durch die Gnade Gottes hatte Franziskus es wieder zum Leben erweckt.“ (Thomas von Celan, I, 87). „Da wurde er ihnen mit seiner Gnade durch seinen heiligen Diener Franziskus wiedererweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt“, so schreibt der Biograph. Giotto malte in Assisi den Moment, als Franziskus das Christuskind selbst (und nicht eine Puppe) in die Krippe legt. Thomas von Celano, der erste Biograph, berichtete fünf Jahre nach dem Ereignis (1228), dass Franziskus im Vortrag des Gotteswortes die Worte „Kind von Bethlehem“ und „Jesus“ nicht aussprechen konnte, ohne dass er mit der Zunge seine Lippen leckte und so „die Süßigkeit dieses Namens verkostete und schlürfte“. Niemand bei dieser Außen-Weihnacht war bloßer Zuschauer, alle waren innerlich Beteiligte, vom Jubel Angesteckte. Alle ahnten, wie ernst es der bettelarme Franziskus meinte mit der Liebe zur demütigen Armut unseres Gottes. Diese Vigilfeier war keine sentimentale Spielerei; Franziskus war sich bewusst, dass das Kind, das in Bethlehem geboren wurde, „im Schatten des Todes“ lebte. Alle waren Beteiligte und Beschenkte; sie wurden eins mit dem Wunder der Weihnacht, quasi live hineinversetzt in das Geschehen von Bethlehem. Was für eine Weihnacht! Was für ein Augenblick!
Bethlehem in Palästina ist im Kriegsjahr 2023 leer; Israel hat die Geburtsstadt Jesu im Westjordanland abgeriegelt. Bethlehem steht vor einem traurigen Weihnachtsfest, ohne Arbeit, ohne Pilger, ohne Lichterketten, ohne Hoffnung. Die Krippengrotte, sonst überfüllt, wird nur von wenigen palästinensischen Christen und Ordensleuten besucht. In Greccio wird seit 1973 die Tradition der lebendigen Krippe und des franziskanischen ‚Krippenspiels‘ fortgesetzt und viele Pilger sind in dem Bergstädtchen. Auch die Krippe auf dem Petersplatz in Rom erinnert 2023 an die Innovation des Heiligen aus Assisi.
Oh ja, zu schnell wird nach Weihnachten dieser winzige Jesus vergessen. Denn er ist leise, sein Auftreten schwach und bittend. Im Mund des Franziskus wir der arme Jesus lebendig unter den Worten des Evangeliums. Er ruft ihn uns in Erinnerung. Haltet ihn euch vor Augen! Die ekstatisch-glühende Liebe des Franziskus zum Namen Jesus ist uns vielleicht fremd. Und doch wünsche ich uns, dass wir hineinwachsen in die Weihnachtsgeschichte und Jesus eine Bleibe geben, für ihn heute zur Krippe werden. Ich wünsche uns, dass wir im aufmerksamen Wahrnehmen der Weihnachtsbilder, während unserer Krippenwege und beim Miterleben der Kinderkrippenfeiern in unseren Gemeinden quasi ‚im Bilde‘ sind und mitvollziehen, wie menschenfreundlich nahe uns der winzige Jesus in seinem Geburtsfest kommt. Weihnachten ist kein alle Jahre wieder auftauchendes und im Kalender abwanderndes Fest. Dieses göttliche Geschenkfest will bleibend verlebendigt werden. Wenn auch im Januar die Außenkrippen wieder abgebaut werden, so soll doch die Krippe in mir für Christus bereit stehen. Franziskus wurde in Greccio von Christus gepackt. Solch eine Ergriffenheit kann man nicht inszenieren; sie überkommt uns wie ein Weihnachtsgeschenk vom Himmel. Franziskus! Dir sei Dank für diese Erfindung, für die Verlebendigung des Weihnachtswunders!
Kurt Josef Wecker
Kontexte:
Dann predigte Franziskus dem umstehenden Volk von der Geburt des armen Königs und bricht in lieblichen Lobpreis über die kleine Stadt Bethlehem aus. Oft wenn er Christus ‚Jesus‘ nennen wollte, nannte er ihn, von übergroßer Liebe erglühend, nur ‚das Kind von Bethlehem‘ und wenn er ‚Bethlehem‘ aussprach, klang es wie von einem blökenden Lämmlein und mehr noch als vom Worte floss sein Mund über von süßer Liebe…. Wenn er das ‚Kind von Bethlehem‘ oder ‚Jesus‘ nannte, dann leckte er gleichsam mit der Zunge seine Lippen, indem er mit seinem glückseligen Gaumen die Süßigkeit dieses Namens verkostete und schlürfte.
(Thomas von Celano in der ersten Lebensbeschreibung des heiligen Franziskus 1228/29 in 1 C 86)
Der allerheiligste Knabe,
der Geliebte,
ist uns gegeben.
Und geboren wurde er
Für uns
am Wege
und gelegt in die Krippe,
da in der Herberge kein Platz war
(Franziskus von Assisi, Weihnachtspsalm)
Schau am Anfang des Spiegels die Armut dessen, der in die Krippe gelegt ist und in die Windel gelegt. O wundervolle Demut! O erstaunliche Armut! Der König der Engel, der Herr des Himmels und der Erde – in die Krippe gelegt! … Wenn also der Herr von solcher Erhabenheit und solch edlem Wesen in den jungfräulichen Schoß eintreten und verachtet, bedürftig und arm in der Welt erscheinen wollte, damit die Menschen, die ganz und gar arm und bedürftig waren und überaus großen Mangel an himmlischen Speisen litten, in ihm reich würden und die reiche der Himmel in Besitz nehmen könnten, so jubelt von Herzen und freuet euch, erfüllt von übergroßer Freude und geistlichem Jubel.
(Klara von Assisi 1. Brief an Agnes von Prag)