„Fehlt dir was?“ So fragen wir machen besorgt, der schlecht aussieht? Bist du gesund? Woran mangelt es dir? Fehlte sie uns in den vergangenen neun Monaten, diese alte Kirche und Begegnungsstätte? Litten wir unter Entzugserscheinungen?
Der Johannessaal wurde uns mehr als ein Provisorium, aber sie fehlte uns doch, diese alte Kirche. Sie war da, aber wir mussten draußen bleiben. Sie war eine geschäftige Baustelle. Wir alle haben in unserem Leben einige offene Baustellen. Und die Pfarre hatte eine wuchtige und auch kostspielige. Gott sei Dank, war die Restaurierungszeit zeitlich überschaubar. Es gab keine verzögerten Bauabläufe, und wenn, dann wurden sie durch liebenswürdige Mitgeschöpfe, wie seltene Fledermäuse, veranlasst. Und doch, was für ein Aufwand, so viel Einsatz, Nervenkraft, Willenskraft, Energie und Ideen, so viele nicht einfache Entscheidungen, Planungen, Bemühung um Zuschüsse und Fördermittel, so viel Eigeninitiative, so viel Zeit und Geld. Sie stand da, ein schöner Blickfang in Nideggen, doch zeitweise unzugänglich, eingerüstet, wir blieben draußen vor der Tür. In diesem Raum geschah nichts unter den Augen der Öffentlichkeit, eine schöne Verwandlung, nichts Revolutionäres, buchstäblich nichts Umwerfendes; aber abgetragen wurde manche Patina, Feuchte, das Schmuddelige. Entdeckt wurde Neues, profiliert wurden Bauelemente.
Was für ein Freudentag! Gerade die, die diesen Raum lieben, traten herzklopfend ein. Gemischte Gefühle, wo Vertrautes in Neues übergeht, Veränderungen, Übergänge, der Mut zum Wagnis eines durchaus kostspieligen Abenteuers. Was erwartet mich dahinter? Welchen Eindruck macht der fernnahe Raum? Ein staunenswerter Augenblick! Unsere Kirche hat uns wieder. Unsere Kirche, vertraut und doch ein wenig fremd, altbekannt, und doch mit ganz neuen Schattierungen, einer noch ungewohnten Farbgebung, Lichteffekten, überraschenden Freilegungen.
Die Dohlen lieben dieses Gebäude, diesen Turm, der uns weit über uns hinaus weist, diesen Raum, der so himmelwärts offen ist. Auch wir sollen leicht und luftig werden hier, innerlich auffliegen wie diese Vögel, die diese Kirche zur Startbahn für ihre täglichen Himmelsreisen nutzen, auch die Seele soll sein wie die Vögel, die im Aufflug zu Gott sind. Doch unsere Pfarrkirche ist nicht nur Zufluchtsort für Dohlen, Fledermäuse und vielleicht auch Kirchenmäuse; sie ist mehr als ein steingewordenes Zeugnis einer Religion von gestern; keine nur kunsthistorisch interessante Immobilie dieser alten Stadt.
Ich glaube, viele haben diesen Raum an manchen Tagen vermisst; wo können wir kurz, ohne Schwellenangst, ohne Berührungsängste einkehren, Kerzen anzünden, Stoßgebete verrichten? Viele haben sie, diese emotionale Bindung zu ihrer Tauf- und Erstkommunionskirche. Und erst wenn etwas fehlt, spüren wir, was wir an solchen Gotteshäusern haben; wir alle brauchen ein solches Dach über dem Kopf, einen Saal, in dem Gottes Worte nachhallen, die Predigt der Steine und Bilder, diese Aura, die uns daran erinnert, dass wir kraft der Taufe Gottes Tempel sind, und auch: Gottes Dauerbaustelle, an der er ein Leben lang baut, sich abmüht, restauriert und meinen Wesenskern freilegt. Ja, das bleiben wir: Gottes Baustelle! Und ein Kirchenraum bietet ihm Gelegenheit dazu, mich zu renovieren und Beheimatung zu schenken. Unser Glaube darf nicht körperlos, nicht ortlos werden. Unsere Blicke müssen nach oben gezogen werden, damit wir nicht verkrümmt leben. Sursum corda! Erhebet Arme und Herzen, vollzieht geistliche Streckübungen im Kirchenraum!
Diese Kirche kann hoffentlich weiterhin ein Haus der teiloffenen Tür bleiben; Menschen lieben Kirchen, die verlässlich offen sind. Wir brauchen sie für unsere Gefühle, die wir vor Gott zeigen, wir brauchen sie, weil wir nicht die Alten bleiben wollen, sondern ein wenig verwandelt.
Heute ist diese Kirche nicht ein Ort der Stille. Fremde und vertraute Musik erfüllt ihn. Das alte Gebäude erstrahlt in neuer Frische. Wir wollen es Gott und unserem Glauben schön machen. Gott soll es schön haben hier: und das sage ich in Zeiten der Knappheit, der Kirchenschließungen, Umwidmungen und Sparkommissare, auch in einer Phase der Kirchengeschichte, in der diese Institution oft genug ihre unschönen, ja hässlichen Seiten gezeigt hat und zeigt. Wir gönnen Gott einen Ort, wo er uns verwandeln kann und wo wir ihn anbeten. Gott, der hier so leise und verborgen ist, völlig im Hintergrund, obwohl Er der „Baugrund“ und „Schlussstein“ dieser Kirche ist. Gott, der nicht nur hier eine feste Adresse hat, sondern sich an allen möglichen und unmöglichen Orten dieser Welt eine zweite Heimat sucht, der keine Stammesgottheit ist, der gerne zeltet und in Bewegung ist. Gott ist leise in seinem Raum. Er ist so zurückhaltend auch in unseren Kirchen da, dass manche Zeitgenossen fragen: Fühlt er sich überhaupt wohl in Häusern aus Stein? Und in dieser unwirtlichen Welt? Oder hat er sich ins Jenseits zurückgezogen oder pocht an mein Herz, um in meinem Innersten einen Unterschlupf zu finden? Hat der Unfassbare sich entzogen und sich andere Wohnungen in dieser Welt gesucht als unsere Kirchen? Und überhaupt: Wäre es nicht viel wichtiger, etwas zu investieren, dass er diese arme und zerrissene Welt rettet oder meine zugestellte Seelenlandschaft aufräumt, restauriert, weißelt? Kostspielig Sakralarchitektur zu sanieren, scheint seltsam zeitentrückt zu sein.
Doch all die kostbaren Kirchenbauten dieser Welt sind mehr als Kulturtempel. Überall entdecken wir das zutiefst menschliche Eingeständnis: Wir Menschen brauchen diese Bauten – gegen das Gewöhnliche und Oberflächliche und Hässliche, gegen das Laute und Gängige, gegen die Zweckbauten und Vergnügungstempel.
Längst ist Gottes Geist zugegen, und ich glaube, der göttliche Bauherr staunt wie wir über einen solchen Gottesraum. Er will hier Raum gewinnen. Er bittet: Feiert euch hier nicht selbst, dreht euch nicht um euch. Nein, feiert bitte meine leise Gegenwart, die diesen Ort heiligt. Und dass wir das heute so froh und feierlich tun, das bedeutet auch: Solche Orte tun unserer Seelen gut, ein Haus Gottes, das ökonomisch nichts bringen, das uns nicht beschleunigt und zu Leistungen anstachelt, das nicht unbedingt Events verspricht (manchmal auch Langeweile im Gottesdienst zumutet!), ein Ort am Wegesrand unserer Pilgerreise, der einfach nur Haltebucht und Raststätte ist, der mich aufbaut und mir zumutet, mich vor Gott auszuhalten, still zu werden vor dem schweigenden Gott.
Damit es so wie heute ist, war es viele Monate anders: Hier herrschte rege Betriebsamkeit, Geschäftigkeit, Lautstärke, hier wurde hantiert, mit viel begnadeter Kompetenz, Liebe zum Detail, auch Neugierde und Entdeckerfreude und Sorgfalt. Dieses Weltliche wollen wir hochachten, die Leistung der Handwerker und Planer, der Künstler und Sachverständigen. Viel Gutes geschieht auch durch Betriebsamkeit! Aber nun geben die Architekten und Handwerker, die Künstler und Denkmalsschützer diesen Raum wieder frei – für uns, zum Gebrauch.
Braucht Gott Kirchenräume? Es könnte sein, dass Gott solche Räume nicht braucht, dass er überall unterkriecht, wo sich ihm eine Tür öffnet. Doch wir haben solche Räume nötig, auch Orte, die unsere Alltagswege und Kirchgänge unterbrechen, uns daran erinnern, dass dieser Raum uralt ist, 800 Jahre, dass unser Glaube von weither kommt, uralt ist und doch immer wieder neu gefeiert werden will. Und dabei wollen auch wir Überraschungen erleben, dass aus dem Alten etwas Überraschendes hervortritt, die bislang unterschätzte Schönheit der Decke, lange Zeit übertünchte Fresken, die nun freigelegt wurden, die Frische der Gemälde. Ich denke an den „Kuraufenthalt“, den die Heiligen-Skulpturen, die wunderbare Pietà und das Kreuz über uns, erfuhren.
Wir wären geistlich obdachlos, wenn bestimmte Wege unseres Lebens kein Ziel hätten. Viele Zeitgenossen kommen in diese Kirche (nicht unbedingt in die Gottesdienste), wenn sie nicht mehr weiter können und nicht mehr wissen, wohin mit ihren Gefühlen und Klagen und Wünschen. Doch auch, wenn wir verstummen und der Raum sich leert, die Gegenwart des Herrn bleibt. Er hält bei uns aus, auch wenn wir ihn übersehen. Diese Kirche ist auch Gottes Herberge auf Erden und eine Raststätte für Betende oder für Leute, die mit Kirche nichts am Hut haben, die Kirche nicht einrennen, die ihr katholisches Zuhause verloren haben. Für Besucher unterwegs, auf der Durchreise, für Gläubige und für Touristen, die im Betreten dieses Raumes still und nachdenklich und vielleicht nur auf Zeit still werden, verwandelt, andächtig und gläubig werden. Denn der Raum arbeitet an uns, er predigt ohne Worte und moralischen Zeigefinger. Gott lässt sich nicht in Menschenhäuser aus Stein und Glas einfangen. Wir können nicht nach ihm greifen und sagen: Jetzt habe ich dich in einem solchen Gottesgehäuse. Der Kirchenraum ist kein schön begrenzter Ort für den Ewigen, denn er ist so frei, auch wieder das Weite zu suchen. Kein Tempel, keine noch so schöne kirchliche Immobilie fasst ihn. Der Gott, den wir hier preisen, gehört keiner Stadt, keinem Volk Gottes; er ist ungebunden. Er ist keine Stammesgottheit, kein Gemeindegott, der sich irgendwo häuslich niederlässt. So einladend schön unsere Gotteshäuser sind - immer bleibt er unbegreiflich, so dass ich ihn nie umkreisen kann -so wie ich diesen Altar umkreise mit dem Weihrauchfass. Die Fassungskraft unserer Räume versagt. In den ersten Jahrhunderten kamen die kleinen christlichen Gemeinden in Rom nicht an außerordentlichen Orten, sondern schlicht in Privathäusern zusammen, improvisiert, unscheinbar, fast alltäglich. Hauptsache, man kam zusammen, um diesen geheimnisvollen Auftrag Jesu zu erfüllen: Tut dies zu meinem Gedächtnis. Das haben wir neun Monate lang im Johannessaal erfahren. Den leisen Advent Christi: Erfahrt mein leises Hinzukommen, diese Gabe der Gnade, da, wo zwei oder drei in seinem Namen zusammenkommen und Gottes Wort teilen. Viele erfahren sich als geistlich obdachlos und können die Kirche und Kirchen nicht mehr als ihr geistliches Zuhause erleben. Mehr denn je brauchen wir Orte wie diese Kirche, an denen unser Glaube beheimatet ist und gefeiert werden kann, an denen es uns leichter ums Herz wird und manche Verknotungen gelöst werden. Wir brauchen Gelegenheiten in Raum und Zeit, wo wir Gott suchen, oder besser: wo Gott uns sucht und findet und auf uns stößt, weil wir Raumangebot für ihn sind, ein Leerraum, den allein er füllt, heiliger Boden sind und er mich bewohnt, seinen Tempel findet in dir und in mir. Seine weihnächtliche Herbergssuche geht weiter, wie damals, als Stall und Krippe seine Notunterkunft waren, sein Transitraum, der Hintereingang in seine Welt, bei der er leise anklopft.
Dieser Raum wirkt. Gemeinde und Stadt freuen sich, dass uns unserer Pfarrkirche innen und außen rundumerneuert wieder zur Verfügung steht. Dieser Altbau ist keine Altlast, keine überflüssige Sakrallast, sondern ein kostbares Stück Glaubenszeugnis. Wenn hier viel Zeit und Geld und Sachverstand in diesen Bau investiert wird, dann, weil wir einen Dienst an der Nachhaltigkeit dieser Kirche leisten. Aus Liebe für diesen Raum und aus Sorge um ihn, ließen wir für einige Monate von ihm ab und glauben, dass wir auch in Zukunft solche Wegkirchen, Wegkapellen für unsere Lebensreise und unsere Seelenlandschaft brauchen, ein bisschen Ruhestand im unruhigen Leben, zur Ruhe kommen vor Ihm. Und bittend um Halt, um eine größere Nähe, ein sogenannter Communio-Raum. Damit kommen wir auch den kleinen Anfängen näher, als es demütig und nüchtern zuging. Weil die Wahrheit klein und leise und bescheiden ist, bittend und nicht überwältigend. Wir rückten näher zusammen, hatten es in der kühleren Jahreszeit sogar spürbar wärmer. Die Liturgien wurden einfacher, bescheidener gefeiert. Und trotzdem ist auch der andere Raum ein Spielraum der Gnade, eine Stätte, um die Gastfreundschaft unseres Gottes kennenzulernen, uns an das Geheimnis erinnern zu lassen, dass wir immer vor Gott stehen, im Geheimnis feiern, das uns umgibt, und von der schönen Bescherung zu kosten, die Jesus mit uns teilt.
Ich wünsche uns allen, dass diese Kirche uns allen einen Atemraum zum Gebet eröffnet und ein Zuhause bietet, genug Platz für uns alle, um zu Gott zu kommen.
Ich danke allen, die in dieser denkwürdigen Übergangszeit als Gemeinde zusammen blieben und unter dem Schutzdach des Johannessaales ganz neu zusammenwuchsen. Danke denen, die beim Ortswechsel halfen, den Umzügen im Januar und Oktober, so viele aus dem Kreis der Gemeinde, den Messdienern, dem Kirchenchor mit seiner Chorleiterin Kerstin Kreitz, heute verstärkt durch Heimbacher Chorsänger/innen mit Herrn Peter Mellentin, und auch den Reinigungskräften. Besonders bedanken möchte ich mich bei Herrn Siegfried Schröder, der unzählige Male mit oder ohne Hund das Werden dieser Restauration begleitet hat, bei Herrn Lebender, dem einfühlsamen Architekten. Ein besonderes Dankeschön auch Frau Kerstin Kreitz, Frau Brigitte Linnartz und Herrn Willy Wessel, die auch unser schöne Zeit im Johannessaal begleitet und bereichert haben.
Danke allen Gemeindegliedern, denen dieser Kirche auf dem Burgberg am Herzen liegt und die ihre Anhänglichkeit durch ihr Gebet, ihre Spende, ihre Treue unterstreichen.