Hoffnungsvolle Lichtblicke im November

Licht (c) Bild von My pictures are CC0. When doing composings: auf Pixabay
Licht
Datum:
Sa. 1. Nov. 2025
Von:
Kurt Josef Wecker, Pfarrer
Liebe Gemeinde,
zu Beginn eine kostbare Fundsache:
 
Mitten im Leben geschieht’s,
dass der Tod kommt
und am Menschen Maß nimmt.
Diesen Besuch vergisst man,
und das Leben geht weiter.
Doch im stillen wird der Anzug genäht.
 
Dieses dichte Memento mori des schwedischen Lyrikers und Literaturnobelpreisträgers Tomas Tranströmer (1931-2015), betitelt mit: Schwarze Ansichtskarten“, verfolgt mich, seit ich es gelesen habe; ein Wort wie „eine Axt für das gefrorene Meer in uns“ (Franz Kafka), wie eine heilsame Unterbrechung des Gängigen und Oberflächlichen, der To-do-Listen und der in den Medien angebotenen Zerstreuungen.
Und ich ahne, Ihnen wird es mit diesen Versen ähnlich gehen, sofern Sie dieses kleine Meisterwerk noch nicht kannten und nun an sich heranlassen.
Wir können nicht wegschauen und verdrängen. Es ist offensichtlich: Der Sommer und der goldene Oktober sind vorbei, die Zeit des Lichtüberflusses ist verflossen. Zunächst unmerklich, dann beschleunigt nimmt das Dunkel wieder zu und prägt den ‚Nebelmonat‘ November, ein Monat der mich an meine Zeitlichkeit und mein befristetes Leben erinnert.
Geflissentlich übersehe ich im geschäftigen Alltag die Zeichen der gefräßigen Zeit an und in mir. Im November können wir uns nichts vormachen; wir spüren die Zumutung dunkler Tage, die Kränkung, die der Tod uns bereitet, und den Verlust lieber Menschen. Wo sind sie, und all diejenigen, deren Namen längst vergessen sind und die kein Grab mehr haben auf Erden?
Dieser ‚Nebelmonat‘ macht unserer Seele zu schaffen. Manche Tage dieses Monats will man schnell hinter sich bringen oder am liebsten gar nicht aufstehen. Muss ein solcher Monat wie der November mit seinen Totengedenktagen kommen, um mich aus meiner Vergesslichkeit zu holen und mich auf Tuchfühlung mit meiner Endlichkeit zu bringen?
Oft sind es Momente, die mich an das Verdrängte erinnern, Augenblicke, ein Abschied ohne Wiedersehen, die Schocksekunde von Nachrichten, wenn die Welt stillzustehen scheint; der Tod der uns Nahen, Schwächeanfälle und Alterserscheinungen, eine plötzliche und stechende Melancholie mitten im Erleben einer wunderbaren Musik oder eines Naturerlebnisses, das fröstelnde Innehalten am Grab der Lieben in der trostreichen Nähe der Angehörigen, das Gespür für das Unwiederbringliche, das Weniger-Werden von Möglichkeiten, Schrecksekunden im Straßenverkehr … Solche Momente schreien nach Gott. Ja, der November bringt uns in nachdenkliche Stimmung und konfrontiert mich mit der nackten Wahrheit: Was unsere Toten nun sind, das wirst du einmal sein!
Die Liturgie erinnert uns gerade im Blicke auf die Heiligen an das, was bleibt und feiert den, der uns umfängt, auch wenn der Tod „am Menschen Maß nimmt“. Wir sind keine Todeskandidaten, sondern „Pilger der Hoffnung“ auf dem Weg zum Licht, hungernd nach dem, der uns alleine sättigen kann, erwartet von den Zeugen und Zeuginnen, denen es besser als mir gelang, dem Willen Gottes zu entsprechen, von der „Gemeinschaft der Heiligen“.
Da ist einer, der unsere Namen und Gesichter rettet und mein fragiles Leben liebt und einmal auffangen wird.
Haben wir Heilige unter den Toten, die wir betrauern? Für die von uns Gegangenen, auf deren Schultern wir stehen, halten wir inne, zünden an den Gräbern im Nieselregen oder im Herbstwind Kerzen an und ahnen, was wir ihnen verdanken und wie viel von ihnen in uns steckt. Wir wünschen ihnen zutiefst, dass sich ihnen die „Heilige Pforte“ ins Leben geöffnet hat, der rettende Durchgang, der Christus ist; die Tür, hinter der das Geheimnis des Osterlebens beginnt. Wir werden einmal daheim sein in dem, von dem wir ausgingen. Wir und auch die, von denen niemand mehr etwas sagen kann und die keiner betrauert. „Alle, alle“ … Allerseeelen.
Da ist einer, der alle anschaut, Tote und jetzt Lebende. Unsere kostbare Lebenszeit verendet nicht in der Nacht, sondern wird aufgehoben im Licht Jesu Christi.
Hoffnungsvolle Lichtblicke in dieser dunklen Jahreszeit wünscht Ihnen und Euch
Kurt Josef Wecker, Pfarrer